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DER OESTERREICHISCHE MALER UND FOTOGRAF MACHT SICH FUER DIE ANERKENNUNG DER DISNEYSCHEN SCHOEPFUNG ALS KUNST STARK.
Helnwein, 46, ein Meister der Provokation, haelt Walt Disney fuer so bedeutend wie Leonardo da Vinci und Rembrandt.

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"In the Heat of the Night", 2000, mixed media on canvas |
Herr Helnwein, was hat dieses Jahrhundert Walt Disney zu verdanken? HELNWEIN : Walt Disney hat voellig neue Medien
entwickelt, den Comic-strip, wie wir ihn heute kennen, den Zeichentrickfilm, eine neue Sprache - insgesamt eine voellig neue
Kunstform dieses Jahrhunderts, so wie Leonardo da Vinci oder Rembrandt ihr Jahrhundert praegten. Leonardo, Rembrandt
und Disney in einem Atemzug - das ist wohl eine Helnweinsche Provokation? HELNWEIN: Ueberhaupt nicht! Disney
hat ja genauso gearbeitet wie die grossen Meister der Renaissance, nach dem Werkstattprinzip, wo also der Meister, eine Art
Universalgenie, neue Welten, Universen erschafft, die dann von einem Heer von Kuenstlern realisiert werden. Die
Bedeutung von Walt Disney als Universalgenie blieb uns bisher verborgen. HELNWEIN: Dass grosse Neuerungen zur
Zeit ihrer Entstehung verkannt werden, war in der Kunstgeschichte immer so. Trotzdem haben ja inzwischen viele Menschen
die Bedeutung von Disney erkannt. Sie stroemen in Massen in Disney-Filme und konsumieren zu Millionen die Comics.
Deshalb wird das alles auch laengst industriell hergestellt. HELNWEIN: Was stoert Sie daran? Auch in den
Werkstaetten der Renaissance wurde industriell gefertigt. Rembrandt und Rubens zum Beispiel haben viele Kuenstler ausgebildet,
damit sie exakt in ihrem Stil und nach ihrem Standart arbeiten, Viele Bilder die ihnen heute zugeschrieben werden, haben sie
gar nicht gemalt - die haben ihre Leute gemalt - sie haben nur signiert. Der Kuenstler ist doch ein Individualiist,
ein Einzelgaenger. HELNWEIN: Nicht zu allen Zeiten! Geschichtlich gesehen wurde Kunst die meiste Zeit industriell
gefertigt. Denken Sie an die Aegyptische Kunst mit all diesen Wandmalereien und Reliefs oder an die beeindruckenden Bauwerke
des alten Rom! Aber Kunst als kreative individuelle Aeusserung... HELNWEIN: Oder nehmen Sie
Andy Warhol, der ganz bewusst den Begriff der "Art Factory" gepraegt hat, der "Kunstfabrik". Obwohl
ich die Bedeutung Warhols nicht schmaelern moechte - die wirkliche Kunstfabrik dieses Jahrhunderts hat Walt Disney gegruendet.
Seine Kunst kommt vom Fliessband. HELNWEIN: Die Kuenstler haben immer nach Moeglichkeiten gesucht,
ihre Werke zu vervielfaeltigen: als Holzschnitt, Kupferstich, Radierung, Lithografie und so weiter. Sie haben sich dazu immer
der jeweils modernsten techniechen Mittel bedient. Und das 20ste Jahrhundert hat eben einem Genie wie Walt Disney das Werkzeug
in die Hand gegeben, um ueber alle Grenzen hinweg arbeiten zu koennen und seine Schoepfungen raeumlich zu bewegen. Disney
hat den jahrhunderte alten Traum aller Kuenstler verwirklicht und erstmals eine Kunstfigur geschaffen, die tanzen, singen
und reden kann. Jetzt tanzen seine Figuren stromlinienfoermig und absichtslos durchs Jahrhundert.
HELNWEIN: Aber das ist doch typiisch fuer die Zeit! Das ist doch der Zeitgeist! Aber es ist eine angepasste
Kunst. Sollte Kunst nicht im Widerstreit sein mit der vorherrschenden Meinung? HELNWEIN: Nicht nur und nicht
immer. Die christliche Kunst war auch ueber zwietausend Jahre lang nicht im Widerstand zum Zeitgeist. Sehen
Sie in Disneys Kunst eine Entwicklung? HELNWEIN: Aber sicher! Sie muessen nur die fruehen Disney-Filme mit
den heutigen vergleichen. Die haben sich technisch weiterentwickelt. Gibt es aber auch neue Inhalte?
HELNWEIN: Die Kunst hat stets die gleichen Inhalte, ob es sich um ein Drama von Shakespeare handelt oder um einen
Hollywoodfilm - es geht immer um die gleichen Anliegen, um einen Helden und einen Schurken, um den Kampf zwischen Gut und
Boese, um Liebe und Leid. Auch in Entenhausen ... HELNWEIN: Kunst muss die Menschen beruehren
koennen. Und wenn ihr das mit einer neuen zeitgemaessen Form gelingt, wird sie zur grossen Kunst. Deshalb sind fuer mich Picasso
und Walt Disney die beiden bedeutendsten Figuren in der bildenden Kunst des 20sten Jahrhunderts. Roger Anderegg,
Sonntagszeitung, Zurich, 11.12.94
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